Essen aus Pulver – Umdenken erlaubt

Wenn man an Essen aus Pulver denkt, kommen einem zuerst Sachen wie Kartoffelpüree oder Packerlsuppen in den Kopf. Das hat mit Kulinarik nichts zu tun. Das kann man höchstens machen, wenn man mal keine Zeit hat oder die Kinder hungrig sind.

Selbstgemacht statt aus der Tüte

Eine richtige Suppe wird aber aus einem guten Stück Fleisch; ein gutes Kartoffelpüree aus frisch gestampften Kartoffeln mit Sahne, Milch und – wie wir von Robuchon gelernt haben – einem großzügigen Stück guter Butter gemacht.

Das haben wir so gelernt. Und das ist auch ganz richtig.

Dass wir es so gelernt haben, verankert sich bei uns in einer inneren Einstellung. Diese zieht die Tatsache, dass ein Kartoffelpüree aus der Packung kulinarisch wertvoll sein kann, gar nicht in Betracht. Unsere wiederkehrenden Erfahrungen unterstreichen dieses gelernte Wissen.

Fertigteige und Teigpulver

Es gibt aber Lebensmittel, bei denen wir genau das Gegenteil „gelernt“ haben – zum Beispiel bei Teigen. Ob nun Crêpes-, Waffel- oder Brotteig – all diese Teige werden aus einem Pulver gemacht, dem Flüssigkeiten hinzugefügt werden.

Man würde nicht einen Moment lang einen Gedanken daran verschwenden, dass man doch Weizenkörner zerdrücken und diese mit Flüssigkeiten mischen könnte, um eventuell ein besseres Ergebnis zu erzielen. Das Verhalten gegenüber Teig ist also genauso gelernt, wie das Verhalten gegenüber Kartoffelpüree.

Wenn wir jetzt die Begrifflichkeit ein wenig vermischen und zum Beispiel eine Waffel aus Kartoffelteig backen, die den Geschmack von Reibekuchen, jedoch die Konsistenz einer belgischen Waffel haben soll – dann wiederum wäre es ein kulinarisches Experiment.

Angenommen dieses Experiment findet in einem Restaurant mit gehobenem Anspruch statt – dieses würde man als Gast vermutlich probieren und es je nach Belag (zum Beispiel Lachs, Crème Fraîche und Kaviar) für eine epochale Erfindung des Koches halten. Besonders wegen des Überraschungseffekts würde man noch lange an dieses Gericht denken und vielleicht sogar Freunden und Bekannten davon erzählen.

Auf die Frage, wie eine solche Kartoffelwaffel denn gemacht wird, würde man vermutlich spekulieren, dass der Koch wohl einen Teig aus frischen Kartoffeln gemacht hat und diesen dann im Waffeleisen gebacken hat.

Warum mit frischen Kartoffeln? Weil man es so nicht gelernt hat.

Auf die Idee, dass in der Küche ein Beutel mit der Teigmischung für belgische Waffeln auch eine Teigmischung derselben Herstellerfirma für Kartoffelwaffeln steht und diese Teigmischung statt Mehl, Stärke und Zucker – Kartoffelmehl, gefriergetrocknete Zwiebeln, Kräuter und Salz enthält, die mit modifizierter Stärke für genau das gleiche Mundgefühl wie bei der belgischen Waffel sorgt, würde man sicher nicht kommen.

Und warum? Weil man es so nicht gelernt hat.

Jetzt gibt es dieses Produkt aber schon und es schmeckt ganz ausgezeichnet. Dennoch findet man es in deutschen Küchen eher selten, weil nicht nur der Gast, sondern auch der Koch ein gelerntes Wissen hat, das ihm sagt, dass Kartoffel in Pulverform prinzipiell nicht gut sein kann.

Gelerntes Wissen stoppt Innovationen

Ob der Welt durch den Boykott von Kartoffelwaffeln etwas verloren geht, ist müßig zu diskutieren. Hier handelt es sich um eine kulinarische Kleinigkeit, die niemals groß vermisst werden wird. Dieses Beispiel zeigt aber sehr gut, wie gelerntes Wissen Innovationen stoppt oder ad Absurdum führen kann.

Was ich damit ausdrücken will, ist die Tatsache, dass der Koch vermutlich weniger Probleme mit dem Kartoffelwaffelteig hätte, wenn man es als fertig angerührten Teig, mit einem attraktiven Namen – beispielweise „Délice de terre“ kaufen könnte. Ohne zu ahnen, dass es sich um dasselbe Pulver, nur bereits mit Flüssigkeiten vermengt, handelt, statt als Pulver in einer Tüte.

Dieses gelernte Wissen treibt Stilblüten vor sich her, die tatsächlich sogar nachhaltige Einflüsse auf unser kulinarisches Empfinden, unsere Ethik, unsere Ernährung und sogar unsere Gesundheit haben.

Das Gelernte Wissen in Bezug auf Fleisch

Ich denke alle Leser dieses Textes sind sich mit mir darüber einig, dass es in Mitteleuropa nicht mehr notwendig ist, Tiere von der Geburt bis zum grausamen Tot zu quälen, nur um preiswerteres Fleisch zu produzieren.

Und selbst die Tatsache, dass man weniger Fleisch und wenn, dann Fleisch aus artgerechter Haltung essen sollte, gehört heute schon fast zum gelernten Wissen und ist für jeden Menschen logisch und nachvollziehbar. Dass der Geist zwar willig, das Fleisch aber schwach ist, soll heute hier nicht diskutiert werden. Hier geht es um die Tatsache, dass in Mitteleuropa ein Ausweg aus dem ständigen Verzehr von Billigfleisch aus Massentierhaltung gesucht wird.

Es war einmal ein Burgertrend…

Gelernt haben wir, dass ein guter Burger oder eine gute Bratwurst genauso köstlich sein können wie ein teures Steak von einem Rind aus artgerechter Haltung. Ich kenne nicht wenige, die sich bei der Auswahl zwischen Burger und Steak für den Burger entscheiden würden.

Jetzt liegt es in der Natur der Dinge, dass das Patty im Burger – also der Fleischanteil – zum einen nicht aus den edelsten Teilen besteht und zum anderen nur ein Bestandteil von vielen in einer Burgerrezeptur ist.

Der neue Veggie-Hype

Das führte letztendlich dazu, dass das fleischlose Burgerpatty in den letzten drei Jahren zum größten Verkaufsschlager der kompletten Lebensmittelindustrie geworden ist.

Ethisch korrekte Genießer konnten, wann auch immer und wo auch immer ihre Fleischeslust mit einem vegetarischen Burger stillen. Die Herstellung fleischloser Pattys ist von vielen Firmen immer weiter perfektioniert worden und heute kaum mehr von Fleisch zu unterscheiden.

Das Tierwohl unterstützen

„Dafür musste wirklich kein Tier sterben.“

Dieser Satz ging den fleischlosen Fleischliebhabern immer leichter über die Zunge und lies die Aktienkurse von den Produzentenfirmen, wie Beyond Meat, in ungeahnte Höhen schnellen.

Geliefert werden diese köstlichen Patties – genau wie ihre Kollegen aus Fleisch – tiefgefroren und in runden Scheiben, die der Größe der Burgerbuns angepasst sind.

Beim Fleisch ist das Tiefkühlen leicht nachvollziehbar, da gewolftes Fleisch aufgrund seiner vergrößerten Oberfläche viel Angriffsfläche für Bakterien liefert und deshalb stehts am Tag der Herstellung verzehrt werden muss. Die Haltbarkeit kann durch eine Schutzgas-Atmosphäre um ein paar Tage verlängert werden, durch das Tiefkühlen sogar um einige Monate.

Tiefkühlen vegetarischer Patties – Macht das Sinn?

Das Einfrieren pflanzlicher Burger-Patties ist (im Vergleich zu richtigem Fleisch) völlig blödsinnig. Es gibt kein veganes- oder vegetarisches Fleisch, das man durch den Fleischwolf jagen kann, um damit seine Haltbarkeit zu verkürzen. Vegetarische- und vegane Patties werden zu 99% aus einem Pulver gemacht, das mit Wasser angerührt wird. Und diese Masse wir dann zum Burgerpatty geformt, in Schutzgas verpackt oder eingefroren und so zum Kunden geliefert.

Warum wird das so gemacht? Weil es so gelernt ist.

„Ein Burgerpatty aus Pulver und Wasser kann nicht gut sein.“ – Verstehen Sie?

Jetzt ist diese Art der Darreichung für den Konsumenten, der aus ethischen Gründen keine Tiere aus Massentierhaltung essen möchte, auch vollkommen in Ordnung – sein Hauptziel ist schließlich erreicht.

Würde ihm aber der Satz: „Dafür muss wirklich kein Tier sterben“, ebenfalls so leicht über die Zunge gehen, wenn er wüsste, dass das Burgerpatty nur aus Pulver und Wasser zusammengerührt wurde?

Besser für die Umwelt

Gehen wir mal einen Schritt weiter, ist die vorwiegend fleischlose Ernährung nicht nur aufgrund des Tierwohls zum größten Foodtrend dieses Jahrtausends geworden, sondern auch durch einige andere treibende Faktoren ausgelöst worden, den Klimawandel zum Beispiel.

Kühe und Schweine setzen unglaubliche Mengen an Methan frei. Dieses Methan ist als Bestandteil unserer Atmosphäre wesentlich kritischer einzuschätzen als CO2.

Die Mengen an Methan, die von Kühen und anderen Nutztieren ausgestoßen werden, ist allein durch die Menge der Tiere viel größer als der CO2 Ausstoß aller Autos im Straßenverkehr.

Zum anderen ist die Futterbeschaffung für die Nutztiere problematisch. Um solche Riesenmengen zu produzieren, werden jährlich bundelandgroße Regenwälder im Amazonas und in Asien abgeholzt. Dort wird dann Futtermais und Soja angebaut.

Aufgrund des Exports ist dieses für die einheimische Bevölkerung nicht verfügbar, wodurch die Mangelernährung in Erzeugerländern in die Höhe getrieben wird. Zudem werden diese Futtermittel über 10.000 km mit den wirklichen Drecksschleudern dieses Planeten – den Ozeanriesen – in den heimischen Stall gebracht. Und wenn nicht das Futter, dann die Rinder, deren Herkunft hierzulande meist einem südamerikanischen Staat entspricht.

Der Einsatz von vegetarischem- oder veganem Fleischersatz ist eine sehr vernünftige und lobenswerte Entscheidung und ein guter Weg, sich gegen den massenhaften Einsatz von Zuchttieren zur Nahrungsherstellung einzusetzen. Kommen wir hier aber nochmal auf den ersten Punkt unserer Geschichte zurück.

Das gelernte Wissen in Bezug auf Kulinarik steht uns im Weg

Das ist auch erstmal ok. Schade vielleicht, weil einem dadurch die Kartoffelwaffel mit Räucherlachs, Kaviar und Crème Fraîche, vielleicht dekoriert mit ein paar feinen Ringen von Frühlingszwiebeln, für immer verwehrt bleibt. Aber ich denke, dass wir damit alle leben können.

Viel bedenklicher finde ich es jedoch – wenn durch den Verzicht auf Fleisch –  zwar die Umwelt und die Ressourcen geschont und das Tierwohl gefördert werden, man aber im selben Augenblick dafür sorgt, dass ein Pulver mit Wasser vermischt, in Form gebracht und anschließend tiefgefroren wird; danach auswendig verpackt in einem energiefressendem Tiefkühlhaus gelagert und von dort aus mit dem teuersten aller Transportmittel – dem Tiefkühlkurier – zum Kunden gebracht wird. Dort wird es wieder energiereich im Tiefkühlschrank gelagert, um dann bei Bedarf zubereitet zu werden.

Alle diese Aktionen sind de Facto überflüssig

Der Koch oder der Hobbykoch könnte das Pulver auch selbst mit Wasser anrühren, um dasselbe Ergebnis erzielen. Zudem sind diese Aktionen auch sehr preistreibend.

Etwa 50 % des Preises entstehen allein durch den Transport und die Lagerung.

Gute Proteinquelle

Fleischlose Patties sind in der vegetarischen und veganen Küche auch oft eine Quelle für das dringend benötigte Protein. Eine rein pflanzliche Ernährung kann zwar auch proteinreich sein, allerdings sind pflanzliche Proteine für uns nicht so leicht verfügbar. Das heißt, man muss diese Proteine gut dosiert mischen damit unser Körper sie in Bausteine für unsere Knochen, Muskeln, Haut und Organe umwandeln kann.

Die Umwandlung von pflanzlichem Protein in tierisches Protein ist nicht nur ein komplizierter, sondern auch ein langwieriger Prozess. Normalerweise werden erst ca. 8 Stunden nach Verzehr von komplexen pflanzlichen Proteinen, für uns nutzbare Proteine von unserem Körper zur Verfügung gestellt.

Burgerfleisch in Pulverform

Dem Wissenschaftsteam um Thomas Isermann (Greenforce) ist es gelungen, pflanzliche Proteine so zu modifizieren, dass diese bereits 15 Minuten nach Verzehr in der Lage sind, körpereigenes Protein daraus zu bauen. In ihrer Burgerpatty-Rezeptur schafften sie es, diese Proteinquelle in Form von Pulver einzubauen.

Das heißt, eines der größten Probleme der fleischlosen Ernährung, der Proteinmangel, kann durch diese Produkte erheblich minimiert werden.

Fazit

Vom kulinarischen Standpunkt ändert sich nichts. Das gefrorene Patty schmeckt genauso gut wie das frisch angerührte. Die angerührte Mischung lässt sich sogar nach eigenem Gusto in Konsistenz und Geschmack verfeinern. So könnte man mit einer großen Handvoll Zwiebelwürfeln und großzügig gehackter Petersilie eine gar vortreffliche Frikadelle (Fleischpflanzerl, Boulette) daraus zaubern. Oder es kräftig gewürzt, in einen Darm gepresst (die gibt es auch aus Zellulose) in eine köstliche Bratwurst verwandeln; aber auch mit Velouté und Kapern in Form von Königsberger Klopsen zubereiten oder, oder, oder…

Aber auch all das landet so nicht auf unseren Tellern, denn wir haben gelernt, dass Pulver und Wasser nur bei Teig gehen – nicht aber bei Kartoffeln oder Fleischersatz.

Vielleicht habe ich Sie aber auch gerade zum Nachdenken animiert und vielleicht werden Sie – wenn Sie das nächste Mal auf vegetarischen Fleischersatz stoßen – von einem anderen Standpunkt aus auf diese Produkte blicken oder gar selbst mal den Versuch in Betracht ziehen.

Wenn dem so ist, dann haben wir mit diesen Worten die Welt wieder ein bisschen besser gemacht.

Darüber freut sich

Ihr

Ralf Bos